Weltanschauung und persönlicher Blickwinkel Aachen, Februar 2003 |
||
[1] Nicht selten redet man mit einem anderen Menschen über eine scheinbar ganz offensichtliche Sache, zum Beispiel, dass Schwarzarbeit nicht in Ordnung sei. Doch dann merkt man an den Antworten des anderen, dass der die Sache grundlegend anders sieht. Und man versteht überhaupt nicht, wie ein Mensch zu der Einstellung gelangen könne, dass Schwarzarbeit grundsätzlich erst einmal in Ordnung ist, solange man sich nicht dabei erwischen lässt. | ||
[2] Ähnlich verwirrt reagieren manche Menschen, wenn ihnen Theologen sagen, dass Gottes Allmacht und seine Güte durchaus nicht widersprüchlich sein müssen. Und ebenso unverständlich ist es für manche, sich eine vollkommen durch Naturgesetze vorherbestimmte Welt vorzustellen, in der der einzelne dennoch einen freien Willen haben soll. | ||
[3] Wie kann es dazu kommen, dass es uns manchmal vollständig unmöglich ist zu verstehen, wie ein anderer Mensch zu seinen Ansichten gelangt sein kann? | ||
[4] Vieles ist vielleicht nur eine Frage der individuellen Erfahrung und des damit verbundenen Blickwinkels auf die Welt. Das Bild unten zeigt eine Landschaft, in der alle möglichen geometrischen Körper auf Pfählen platziert sind. Man kann auf verschiedenen Wegen durch die Landschaft laufen und sich dabei die verschiedenen geometrischen Körper betrachten. | <= Landschaft als Welt und Weg als Lebensweg | |
Bild 1: Raumkörper-Erlebnispark |
![]() |
|
[5] Die Körper unterscheiden sich nach Farbe und Form. Solange nun ein ein Besucher in dieser Welt nicht letztendlich alle Wege beschritten hat und sich dabei alle Körper genauestens angeguckt und in all ihren Qualitäten genau gemerkt hat, dann hat dieser Besucher bloß eine Teilansicht dieser ganzen Welt in seinem Kopf: | <= Körper sind unsere Anschauungsobjekte | |
Bild 2: Individuelle Erfahrungen im Gedächtnis eins Parkbesuchers |
||
[6] Jetzt kann es noch sein, dass ein Mensch manche Körper oder Eigenschaften gar nicht wahrnimmt, sei es dass er zum Beispiel farbenblind ist oder dass er sich für manche Dinge einfach nicht interessiert. Eigentlich muss ein menschlicher Betrachter sogar eine irgendwie geartete Beschränkung seiner Wahrnehmung vornehmen, ganz einfach weil die menschliche Hirnkapazität bschränkt ist. Die Person in Bild 3 zum Beispiel etwa kann oder will nur sehen, was gelb ist: | <= Beschränkte Sicht auf die Welt | |
Bild 3: Gefilterte Erfahrungen und Gedächtnisinhalte |
||
[7] Und wenn nun ein Besucher in dieser Landschaft von 3D-Körpern anfängt darüber nachzudenken, ob es irgend eine Regelmäßigkeit in der Landschaft gibt oder ob sich vielleicht die vielen einzelnen Körper zu einem größeren Bild zusammensetzen, dann wird diese Person nur auf ihre individuellen Erfahrungen und Gedächtnisinhalte zurückgreifen können. | <= Weltanschauung, Ideologie | |
[8] Ein so forschender Mensch wird sich gedanklich in die Lage eines Vogels versetzen und versuchen zu erahnen, wie die Landschaft von oben aussieht und ob sich in ihr irgendwelche Muster zeigen. Bild 4 und 5 zeigen unterschiedliche Weltanschauungen, die auf unterschiedlichen betrachteten Objekten oder Eigenschaften beruhen (sich aber beide auf die gleiche Welt beziehen): | ||
![]() |
||
[9] Vielleicht sind manche der Körper, die die beiden Betrachter in ihrer Erinnerung haben die selben. Doch entweder haben die beiden Menschen ganz unterschiedliche Wahrnehmungs- und Erinnerungsfilter oder aber sie haben den Körper jeweils aus unterschiedlichen Winkeln betrachtet. Vielleicht guckt der Betrachter links immer nur von der linken Seite auf die Körper und der Betrachter rechts guckt immer nur von rechts auf die Körper: | ||
Bild 6: Sichtwinkel |
<= Einseitige Sichtweisen | |
[10] Vielleicht hat auch der "braune Betrachter" recht schnell erkannt, dass sich das Braune gerne in Ellipsen anordnet (zumindest aus seinem Blickwinkel). Und so lenkt dieser Betrachter seine Schritte vielleicht gezielt so, dass er möglichst viel Braunes findet, um seine Vermutung zu bestätigen. Und der "gelbe Betrachter" vermutet, dass das Gelbe gerne in perlschnurartigen Gebilden zu finden ist. Und wenn jetzt die beiden sich ganz auf ihre jeweiligen Farben konzentrieren, dann werden sie vielleicht bald glauben, dass die von ihnen gesehenen Muster das wesentliche Merkmal der ganzen Landschaft seien. | <= Sichtbeschränkungen als Arbeitshypothesen Der Naturwissenschaftler betrachtet nur empirisch Überpüfbares. Welche Weltanschauung ergibt sich daraus? |
|
[11] Hätten aber die beiden Besucher sich alle von ihnen beschauten Raumkörper von mehreren Seiten aus betrachtetet, hätten sie ihre Wahrnehmungsfilter - sofern möglich - abgelegt und wären sie auch einmal um die Körper herum gegangen, dann wären sie vielleicht zu der folgenden Sicht gelangt: | ||
Bild 7: Erweiterte Wahrnehmung |
||
[12] Die Metapher von der Landschaft mit den Raumkörpern ließe sich nun weiter verfeinern. So könnte es sein, dass sich die ganz unterschiedlichen Vostellungen einzelner Personen über das wahre Muster in der Landschaft auf ideale Weise ergänzen und ein größeres Bild ergeben: | ||
Bild 8: Zusammenfügen verschiedener Sichten |
||
[13] Es könnte aber auch sein, dass ein rot-grün Blinder den Erzählungen der anderen über wundersame Muster schlicht keinen Glauben schenkt. Vielleicht ergibt die Landschaft eine große Fülle faszinierender Muster, je nachdem von wo aus man sie betrachtet. Wie dem auch sei, die Metapher soll jetzt auf das wahre Leben übertragen werden. Zwar hat der einzelne Mensch wahrscheinlich weder Zeit noch die Fähigkeit dazu hat, alle Aspekte aller Körper zu betrachten und sie auf hypothetische Muster hin zu untersuchen. Aber wahrscheinlich können wir unsere Sicht der Welt dadurch bereichern, dass wir die Sichten und Erfahrungen anderer Menschen in unsere Betrachtungen mit aufnehmen. | Glaubt ein "normaler" Mensch den Erzählungen von "übersinnlichen" Begebenheiten? | |
[14] Können wir so vielleicht den Effekt erklären, dass wir manche Leute partout nicht in ihren Einstellungen zu bestimmten Themen verstehen? Stellen wir uns jemanden vor, der eine überaus glückliche Kindheit in einer kleinen Stadt erlebte. Dort war die Welt rundum in Ordnung. Die Handwerker waren freundlich und zuverlässig, man kannte sich. Die Familie vermittelte Vertrauen und Liebe, das Kind wuchs als starke Persönlichkeit heran. Das Umfeld war glaubwürdig christlich und bürgerlich geprägt. Werte wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und ein gesundes Maß an Pflichterfüllung wurden nicht nur dem Worte nach hochgehalten, sondern als Selbstverständlichkeit gelebt. Das Vereinsleben funktionierte ausgezeichnet. Natürlich gab es Streitigkeiten aber im Groß und Ganzen lebte die Gemeinschaft vom Engagement der einzelnen Mitglieder. | <= Glückliche Kindheit | |
[15] Dieser Mensch hat also viele Dinge des Alltages so gesehen, dass sich Anstand und Ehrlichkeit auszahlen und dass sie auch eine Grundlage einer leistungsfähigen Gemeinschaft sind. Dieser Mensch hält dementsprechend nicht viel von Schwarzarbeit. Aus seiner Sicht schädigt sie das Gemeinwohl auf offensichtliche Weise. Sie kann bestenfalls in extremen Ausnahmesituationen entschuldigt werden. Dieser Mensch hat, in der Metapher der Raumkörper gesprochen, immer nur die gelbe Seite der Körper gesehen. Ein solcher Mensch wird vielleicht auf ganz selbstverständliche Weise die Existenz und Wirkungskraft kooperativer und gemeinsinnorientierter Einstellungen und Handlungsweisen wahrnehmen. Betrachtet er etwa das Thema Entwicklungshilfe, dann sieht er ohne große Mühe die guten Früchte solcher Tätigkeiten: Menschen wird aus unmittelbarer Not geholfen, Hilfsbereitschaft wird sichtbar gelebt, internationale Solidarität beugt Terrorismus und Gewaltherrschaften vor und so weiter. Ein solcher Mensch wird vielleicht ein Weltbild aufbauen, in dem die Chance durch gute Taten Verbesserungen zu erzielen eine zentrale Rolle spielt. Dieser Mensch erkennt "gelbe Muster" in der Welt. | <= Eine "gelbe" Sicht der Dinge: Gute Taten lohnen sich! | |
[16] Ein anderer Mensch nun wuchs in einer Kleinstadt auf, in der man früh lernt, dass der Ehrliche auch der Dumme ist. Die Vereine sind weitgehend ausgestorben und wurden von Fitness-Centren verdrängt, die ganz ohne ehrenamtliches Engagement auskommen. Dieses Kind bekam auf eindringliche Weise früh die Tricks und Kniffe der Lokalpolitik mit, da sein Vater zum einen im Stadtrat saß und zum anderen erfolgreicher Bauunternehmer war. In der Schule erlebte der Junge, wie dem Sohn eines engen Freundes des Schuldirektors wider alle Regeln das Sitzenbleiben erspart blieb, obwohl er nur schlechte Noten erzielte. Zudem erlebte er mehrfach, wie sein Vater gerichtlichen Streit mit Handwerkern austrug, weil diese pfuschten, Termine verschlampten und dann auch noch viel Geld verlangten. Kurzum: Für diesen Menschen ist es selbstverständlich, dass der Ehrliche der Dumme ist. Und er wird partout nicht jemanden verstehen, der freiwillig Schwarzarbeit vermeidet und damit weder sich selbst einen Gerfallen tut noch irgend jemanden damit spürbar nützt. Dieser Mensch hat, in der Metapher der Raumkörper gesprochen, immer nur die braune Seite der Körper gesehen. Und so interpretiert er auch andere Phänomene der Welt mit einem Braunfilter in der Wahrnehmung und baut sich aus diesem Blickwinkeln sein Weltbild auf. Im Bezug auf Entwicklungshilfe dürfte es für ihn offensichtlich sein, dass die eigentlichen Nutznießer korrupte Beamten in den Empfängerländern sind. Darüberhinaus wird er - aus eigener Erfahrung und Anschauung - erkennen, dass Entwicklungshilfe jegliche Eigeninitiative der Empfänger unterdrückt. Wenn dieser Mensch in den Nachrichten Meldungen über veruntreute Gelder einer Entwicklungshilfeorganisation oder über wirkungslos gebliebene Hilfeprojekte hört, so bestätigt ihn dies in seinem Weltbild. Ist das Weltbild ausreichend fest im Kopf dieses Menschen verankert, so wird er gegenläufige Informationen gar nicht mehr wahrnehmen oder als unbedeutende Abweichung von der Regel abtun. | <= Eine "braune" Sicht der Dinge:
Die Ehrlichen sind die Dummen.
Mit Hilfe einer Versuchsreihe beweist ein Physiker, dass alle ungeraden Zahlen auch Primzahlen sind: 1: passt Die These, dass alle ungeraden Zahlen Primzahlen sind, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, richtig zu sein. |
|
[17] Nun liegen solche Erfahrungen des jeweils anderen durchaus noch im Bereich dessen was sich normale Menschen vorstellen können. | ||
[18] Wie aber verhält es sich mit den folgenden Erfahrungen:
|
In dem Buch "The Varieties of Religious
Experience", geschrieben um 1900, berichtet der
Autor William James über eine Fülle nicht mit Worten
vermittelbarer Erlebnisse.
Drogenerfahrung |
|
[19] Welche unterschiedlichen Sichten auf die Welt werden Menschen haben, die verschiedene der oben aufgelisteten Erfahrungen gemacht haben? Wie wirken sich solche Erfahrungen auf die individuell entwickelten Erklärungsmuster der Welt, also auf persönliche Philosophien und ethische Haltungen aus? | ||
[20]
Nachfolgend sind einige beispielhafte Phänomenmuster
angedeutet, die man immer wieder als Teile persönlicher
Lebensphilosophien in den Erzählungen einzelner Menschen
erkennt. Die Beispiele sind teilweise bewusst so
ausgewählt, dass zwar die Erkennbarkeit der Muster
anerkannt werden muss, dass aber andere Sichten auf die
Dinge in der Welt auch konkurrierende und widersprechende
Muster zulassen. |
||
[21] Menschen reagieren nur auf Zwang:
All dies belegt: Menschen reagieren nur auf Zwang. |
<= Beispielhafte Muster in der Welt In Nordrhein-Westfalen werden 2003/04 Studiengebühren eingefürt. Deutschland erleidet 2003 ein Defizitverfahren der EU aufgrund ein zu hohen Neuverschuldung Das System der Rassentrennung wurde um 1990 in Süd-Afrika abgeschafft. |
|
[22] Jeder ist sich selbst der nächste:
Das alles belegt, dass der Mensch auf egoistische Weise sich selbst der nächste ist. |
In den 1990er-Jahren forderten die Gewerkschaften immer wieder den Abbau von Überstunden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. |
|
[23] Der Mensch ist ein kooperatives Gemeinschaftswesen:
Das alles belegt, dass der Mensch von Natur aus ein kooperativ eingestelltes Gemeinschaftswesen ist. |
||
[24] Bürokratie lähmt jede Initiative:
Das zeigt deutlich, dass Bürokratie Initiativen lähmt. |
![]() Wolfgang Clement (SPD) will als Bundesarbeitsminister im Jahr 2003 ein Gesetz zum Abbau von bürokratischen Hindernissen bei Unternehmensgründungen durchsetzen. |
|
[25] Der freie Markt wirkt zerstörerisch:
All dies zeigt eindrücklich die zerstörerische Kraft freier Märkte auf. |
Um 2000 gibt es kaum mehr Kabeljau, in
Neufundland leidet die Fischerei sehr unter Überfischung Buchtipp: Of Whales and Men. Von R. B. Robertson, 1956. Eine nostalgische Schilderung der Walfangindustrie.
|
|
[26] Der freie Markt ist die effizienteste Form von Bedürfnisbefriedigung:
Offensichtlich sorgen die Marktmechanismen für Effizienz. |
||
[27] Neue Technologien zerstören Arbeitsplätze:
Dies sind nur einige Beispiele die zeigen, dass neue Technologien Arbeitsplätze zerstören. |
![]() |
|
[28] Neue Technologien schaffen neue Arbeitsplätze:
Diese Beispiele zeigen, wie sehr neue Technologien an der Schaffung neuer Arbeitsplätze beteiligt sind. |
![]() |
|
[29] Das Schlechte in der Welt nimmt beständig zu.
Dies zeigt, dass die Welt immer schlechter wird. |
![]() |
|
[30] Das Gute in der Welt nimmt langsam aber beständig zu.
Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass sich das Gute in der Welt zunehmend durchsetzt. |
![]() Buchtipp zum Schrecken des 30-jährigen Krieges: Hermann Löns: "Der Wehrwolf" (geschrieben 1909) |
|
[31] Alles ist durch Naturgesetze geregelt und vorherbestimmt.
Dies zeigt, dass wahrscheinlich alles in der Welt dem Gesetz von Ursache und Wirkung entspricht. |
![]() |
|
[32] Der Mensch hat einen von Naturgesetzen freien Willen.
Es ist offensichtlich, dass es in der Welt einen freien Willen geben muss. |
![]() |
|
[33] Das Schicksal greift steuernd in die Welt ein.
Es scheint klar zu sein, dass viele Ereignisse nur scheinbar zufällig sind. |
![]() |
|
[34] Die Liste von Beispielen ließe sich leicht weiter fortführen. Sie soll zeigen, dass es in der realen Welt durchaus sehr viele erkennbare Muster gibt. Jedoch sollte man vorsichtig sein, diese all zu sehr zu verallgemeinern. | ||
[35] Oft ist es so, dass einzelne Fallbeispiele, je nach Blickwinkel, in ganz unterschiedliche Sichten und somit ganz unterschiedliche Erklärungsmuster passen. | ||
[36] Aus Aus der Sicht, dass die Kräfte eines freien Marktes für effiziente Bedürfnisbefriedigung stehen ist zum Beispiel auch der Niedergang einer privatisierten Industrie ein Indiz für Gültigkeit der eigenen Sicht. Denn wenn ein ehemals staatlicher Industriezweig, wie etwa die englische Steinkohlenindustrie, nach einer Privatisierung weitgehend verschwindet, dann heisst das ganz einfach, dass es für die Produkte des betroffenen Bereiches keine Bedürfnisse gibt. Und keinen Aufwand in die Befriedigung nicht vorhandener Bedürfnisse zu stecken ist sicherlich effizient. | ![]() |
|
[37] Aus der Sicht, dass die Kräfte des freien Marktes zerstörerisch wirken freilich ist der Niedergang der englischen Steinkohlenindustrie in den 1980er-Jahren ebenfalls ein Beleg für die eigene Sicht. Mit den Bergwerken verschwanden ja nicht nur Arbeitsplätze sondern auch eine ganze Kultur. Ein ganzer Lebensbereich wurde zerstört. | ![]() |
|
[38] Nun, welche praktische Folgerung könnte man aus dem bisher Gesagten ziehen? Es sind ja keine bahnbrechenden oder besonders originellen Gedanken die hier dargelegt wurden. Es ist eher banal zu sagen, dass jeder Mensch seine eigene Sicht der Welt hat und dass diese sich nicht unbedingt mit den Sichten anderer Personen decken muss. | <= Nutzen dieser Betrachtungen | |
[39] Ein praktischer Nutzen der Metapher von den geometrischen Körpern könnte sein, dass man sich in Gesprächen öfters vergegenwärtigt, wie sehr man selbst und das Gegenüber durch solche Sichten geprägt sind. Und es kann Gespräche sehr viel interessanter machen, wenn man versucht, seine eigenen Sichten und die der Gesprächspartner zu erkennen anstatt den anderen davon zu überzeugen, dass er eine Sache falsch sieht. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung hierzu soll diese Seite beenden. | ||
[41] Ich unterhielt mich einmal mit einem ausgebildeten Philosophen über das Thema der Willensfreiheit. Ich äußerte zunächst die Hypothese, dass vielleicht alle Abläufe in der materiellen Welt kausal bestimmt seien, ein Zustand der Welt mithin eindeutig aus dem vorherigen Zustand hervorgehe. Mein Gesprächspartner akzeptierte diese Hypothese als denkbar. | <= Abschließendes Beispiel: Freier Wille | |
[42] Dann folgerte ich, dass dann natürlich auch der materielle Teil des Menschen dem Gesetz der Kausalität unterliege und der Zustand eines menschlichen Körpers - Gehirn, Zunge, Stimmbänder, Mimik und alles - eindeutig über Naturgesetze geregelt aus der Vergangheit resultiert. Auch diesem Gedanken schloss sich mein Gesprächspartner an. | ||
[43] Nun schloss ich damit zu hinterfragen, was denn ein Freier Wille in einer solchen Welt sein könne. | ||
[44] Mein Gesprächspartner verstand mein Problem nicht. Es sei doch offensichtlich, sagte er, dass es eine persönliche und freie Entscheidung sei, was man zum Beispiel abends esse, wen man sich zum Lebenspartner wählt oder welche Partei man wählt. | ||
[45] Ich erwiderte, dass dies doch dem Vorhergesagten widerspreche, was meinen Gesprächspartner sichtbar verwirrte. Ich sagte, die Welt kann doch nicht gleichzeitig vollständig durch allgültige Gesetzmäßigkeiten geregelt sein und gleichzeitig das Entstehen und Wirken eines Freien Willens zulassen. | ||
[46] Wir kamen zu keinem gemeinsamen Ergebnis, doch stellte ich später fest, dass für Geisteswissenschaftler die Unvereinbarkeit einer naturgesetzlich vollständig geregelten Welt und eines freien Willens sehr viel weniger zwingend ist als für Ingenieure oder Naturwissenschaftler. | ||
[47] In welche Argumentations und Denkmuster müssen die folgenden beiden Aussagen eingebunden sein, wenn man sie gleichzeitig als wahr akzeptieren will: 1) Die materielle Welt ist vollständig determiniert 2) Der Mensch hat einen freien Willen? | ||
[48] Es ist hier fruchtlos, in so einer Situation auf seinem eigene Standpunkt zu beharren. Viel anregender und aufregender ist es, nach unbewussten, eigenen Denkmustern zu suchen und diese zu hinterfragen um letztendlich vielleicht Muster zu entwickeln, die für Geisteswissenschaftlicher offensichtlich sind. | ||
[49] Der Park aus geometrischen Körpern ist wahrscheinlich sehr groß und er zeigt aus allen möglichen Blickwinkeln ganz unterschiedliche Muster. Bescheidenheit aus seiner beschränkten Einsicht heraus alle Muster erkennen zu können ist sicher angebracht. | ||