Und diese Trommel in der Ecke ist das Universum
der Kisten:
"Das ist ihr
Schicksal." und weiter: "Ihr
Schicksal, ihre Welt, ihr Dasein - alles, was sie
erfahren und erkennen mögen. In den Trommeln befinden
sich besondere Bänder mit registrierten elektrischen
Reizen...."
Und Corcoran beschreibt
auch, welche Reize er dort einprogrammiert hat:
"...das sind,
Tichy, die heißen Nächte des Südens und das Rauschen
der Wellen, die Formen tierischer Leiber und
Schießereien, Begräbnisse und Zechereien und der
Geschmack von Äpfeln und Birnen, Schneewehen, Abende,
die man im Familienkreis am brennenden Kamin verbringt,
und das Geschrei an Deck eines untergehenden Schiffes und
die Konvulsionen einer Krankheit. Das sind die Gipfel der
Berge und Friedhöfe und die Halluzinationen
Phatasierender - Ijon Tichy: Dort ist die ganze Welt!"
Aber Corcorans Welt ist
nicht deterministisch, sie ist keine Grammophonplatte,
wie er selbst sagt, sondern:
"Das Schicksal
meiner eisernen Kästen . . . ist nicht bis zum Schluß
vorher bestimmt, denn die Ereignisse dort in der Trommeln
sind auf Reihen paralleler Bänder gebannt, und nur ein
entsprechend der Regel des blinden Zufalls wirkender
Selektor entscheidet, aus welcher Bandreihe der Rezipient
der Sinneswahrnehmungen einer bestimmten Kiste im
nächsten Augenblick die Inhalte aufnehmen wird."
Und Corcoran kennt die
"Menschen" die in seiner Welt aus
Elektronenrechnern leben. Da gibt es "ein
siebzehnjähriges Mädchen, grünäugig, mit rotblondem
Haar, mit einem Körper, der einer Venus würdig wäre.
Sie ist die Tochter eines Staatsmann...Sie liebt einen
Jünglin, den sie fast jeden Tag durchs Fenster sieht und
der ihr Fluch sein wird."
Eine andere Kiste "ist
ein Gelehrter. Er ist schon der allgemeinen
Gravitationstheorie nahe, die in seiner Welt verbindlich
ist, in dieser Welt, deren Grenzen die eisernen Wände
der Trommeln sind..."
Das schauerliche an der
Welt Corcorans ist die Tatsache, daß (fast) alle ihre
Bewohner nichts davon ahnen, daß sie ein bloßes
Elektronengeflimmer in Eisenkisten, aufgestellt in einer
öden verlassenen Fabrikhalle sind.
Tichy will es aber noch
nicht ganz glauben, und fragt Corcoran deshalb, warum
denn seine Geschöpfe keine Ahnung von der Virtualität
ihres Seins haben sollen. Daraufhin entsteht der folgende
Dialog:
Corcoran: "Sie
setzen sich aus Atomen zusammen, wie? Fühlen Sie Ihre
Atome?"
Tichy: "Nein."
Corcoran: "Diese
Atome bilden Eiweißteilchen. Fühlen Sie ihr Eiweiß?"
Tichy: "Nein."
Corcoran: "In
jeder Stunde des Tages und der Nacht werden Sie von
kosmischen Strahlen durchbohrt. Spüren Sie das?"
Tichy: "Nein."
Corcoran: "Wie
sollen dann meine Kisten erfahren, daß sie Kisten sind,
Sie Esel! Genauso wie für Sie diese Welt authentisch und
einzig ist, genauso sind für diese Hirne die Inhalte
authentisch und einzig real, die zu ihren elektrischen
Hirnen aus meiner Trommeln fließen..."
Nach einigen weiteren
Wortwechseln über einen Physiker in der künstlichen
Welt kann Tichy bloß noch verzweifelt an seiner Hoffnung
festhalten:
"Aber ich weiß
dank der Physik, daß ich aus Atomen gebaut bin".
Und Corcoran erwidert kategorisch: "Er
weiß das auch, Tichy." Mit "er" ist
der Physiker in einer der Kisten gemeint.
Corcorans Maschinerie ist aber nicht
perfekt. Manchmal springen die Tastapparaturen auf den
großen festplattenähnlichen Datenträgern ungewollt hin
und her, etwa wenn eine Ameise die Mechanik stört. Die
Menschen in Corcorans Welt erleben dann plötzliche
Erlebniszustände wie "deja vu" oder
eine Verkettung unerklärlicher Zufälle.
Stanislaw Lem überlässt es dem Leser,
die Erzählung auf unsere eigene Welt zu übertragen. In
der Philosophie gibt es den Begriff des Solipsismus.
Damit ist gemeint, daß bloß das eigene subjektive
Erleben real sei und alles andere der bloßen Einbildung
entspringe. Und tatsächlich ist es der Philosophie bis
heute nicht gelungen, die reale Existenz der Welt zu
beweisen. Descartes "cogito ergo sum" ist das
Eingeständnis, daß viel mehr als dieses "Ich
denke, also bin ich" auch nicht beweisbar ist.
Stanislaw Lems Kurzgeschichte ist aber
nicht bloß ein unterhaltsames Gedankenspiel zum
Solipsismus. Er geht noch weiter und zeichnet ein Bild
der Hoffnungslosigkeit, der Verlassenheit und
der Auswegslosigkeit unseres Sein.
Corcorans Wohnfabrik
wird als groß, kalt, unbelebt und düster beschrieben.
Darin stehen die verlorenen Kisten. Und die Geschöpfe
sind vollständig den Launen ihres Schöpfers, des
reizbaren Professors, ausgeliefert.
Corcorans Welt ist bloß eine von vielen
Kurzgeschichten in diesem Stil. Die Sterntagebücher
umfassen fast 500 Seiten und wer Spaß an
freundlich erzählten aber dennoch skurrilen und
nachdenklich stimmenden Geschichten hat, dem können die
Sterntagebücher nur wärmstens empfohlen werden.
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